Ikarus – Aufstieg und Fall

Ein junger Mann namens Ikarus (Ἴκαρος) steht im Mittelpunkt einer sehr denkwürdigen Geschichte aus der antiken griechischen Mythologie.

Auch heute noch erzählen manche Menschen diese Geschichte als eine Warnung. Übermäßiges Selbstvertrauen führt manchmal zu katastrophalen Ergebnissen.

Ikarus, der Sohn des Daidalos

Ikarus wurde in den Legenden vor allem wegen seines Vaters Daidalos (Δαίδαλος) oder Dädalus bekannt, eines Erfinders und geschickten Handwerkers.

Daidalos, der Enkel des ehemaligen attischen Königs Erechtheus (Ἐρεχθεύς), erwarb sich vor allem aber einen Ruf als genialer Baumeister.

Während Ikarus‘ früher Kindheit wohnte seine Familie in der Stadt Athen, einem sehr schönen Ort.

Die Athener genossen ein reiches kulturelles Leben. Prächtige Gebäude, schöne Kunstwerke und eine Vielzahl attraktiver handgefertigter Waren ermöglichten vielen Menschen in Athen einen angenehmen Lebensstil. Daidalos und seine Familie fühlten sich dort wohl.

Ikarus Leben im Exil

Daidalos hatte sich bereits als geschickter Erfinder einen Namen gemacht, als einer seiner Neffen in seinen Haushalt eintrat.

Der junge Mann, der Perdix (Πέρδιξ) oder Talos genannt wurde, war auch als Handwerker sehr vielversprechend. Er besaß offenbar mehr Talent als Ikarus.

Zunächst war Daidalos sehr stolz auf die Leistungen seines Neffen. Doch als immer mehr Menschen Talos‘ Fähigkeiten zu schätzen begannen, wurde Daedalus langsam eifersüchtig. Vielleicht fürchtete er, sein Neffe könnte ihn eines Tages als Erfinder übertreffen.

Schließlich beging Daidalos eine schreckliche Tat. Er stieß den jungen Mann aus großer Höhe und tötete ihn dadurch. Als Folge dieser Tat musste Daidalos Athen verlassen und ins Exil gehen. Sein Sohn Ikarus begleitete ihn.

Das Labyrinth des Minos

Die beiden machten sich in einem Boot auf und segelten über das blaue Wasser des Mittelmeers. Sie erhielten eine Einladung an den Hof von König Minos (Μίνως). Der Herrscher lebte in einem prächtigen Palast auf der schönen Insel Kreta.

König Minos hieß Ikarus und seinen Vater in seinem Reich willkommen. Daidalos war bereits als Baumeister berühmt geworden.

König Minos beauftragte ihn daher, ein kunstvolles Labyrinth unter seinem Palast zu errichten. Ein Labyrinth ist im Grunde eine Ansammlung aus Gängen und Tunneln.

Das von Dädalus errichtete Bauwerk war aber so komplex, dass jeder, der es betrat, enorme Schwierigkeiten hatte, den Ausgang zu finden.

Ein dunkles Geheimnis

König Minos benötigte das Labyrinth aus einem unheimlichen Grund. Der König benutzte das Labyrinth als Gefängnis für den Minotauros (Μινώταυρος), eine furchterregende Kreatur.

Der Minotauros besaß den Kopf eines Stiers und den Körper eines Menschen. Königin Pasiphae (Πασιφάη) von Kreta hatte den Minotaurus zur Welt gebracht, nachdem ihr Mann, König Minos, den Meeresgott Poseidon (Ποσειδῶν) beleidigt hatte.

Von Schuldgefühlen geplagt und verängstigt, wollte König Minos den Minotaurus im Labyrinth verstecken und der Öffentlichkeit vorenthalten.

Tatsächlich sollte der Minotaurus einen großen Einfluss auf das Leben von Daidalos und Ikarus haben. Die Ereignisse entwickelten sich auf unerwartete Weise. Der Vater und der Sohn mussten schließlich um ihr Leben fliehen.

Eine Liebesgeschichte

Im Abstand von sieben Jahren schickten die Bewohner Kretas vierzehn Gefangene aus Athen in das Labyrinth, damit der Minotaurus sie fressen konnte.

Schließlich meldete sich ein attischer Held namens Theseus (Θησεύς) freiwillig, um sich der Gruppe der Opfer anzuschließen, in der Hoffnung, den Minotaurus zu vernichten.

Als der tapfere junge Mann auf Kreta ankam, verliebte sich die Tochter des Königs Minos, Ariadne (Ἀριάδνη), unsterblich in ihn. Sie bat Daidalos, ihr zu helfen, einen Weg zu finden, Theseus vor dem sicheren Tod im Labyrinth zu retten.

Daidalos kam auf eine geniale Idee. Er gab Ariadne ein Knäuel aus Schnur, das sie Theseus geben sollte. Als der junge Mann durch das Labyrinth ging, wickelte er die Schnur hinter sich ab.

Er bekämpfte und tötete den Minotaurus und schaffte es, lebendig durch das verwirrende Labyrinth zurückzukehren, indem er der Spur der Schnur folgte. Diese ist bis heute als Ariadnefaden bekannt.

Daidalos und Ikarus fliehen aus dem Gefängnis

König Minos hatte das Gefühl, dass Daidalos sein Vertrauen missbraucht hatte. Er befahl seinen Wachen, sowohl Daidalos als auch Ikarus in einem hohen Turm über dem Palast einzusperren.

Daidalos fürchtete um ihr Leben. Er schmiedete also einen Plan, um mit Ikarus zu entkommen. Er wollte Kreta verlassen und auf die ferne Insel Sizilien reisen.

Als genialer Handwerker baute Daidalos zwei Flügelpaare, eines für sich selbst und das andere für seinen Sohn. Er fertigte sie aus Federn und Wachs an.

Als er Ikarus die Flügel anlegte, wies er den jungen Mann an, vorsichtig neben ihm zu fliegen. Er warnte ihn, dass die Hitze das Wachs schmelzen würde und sie deshalb nicht in die Nähe der Sonne fliegen sollten.

Eine Geschichte der Hybris

Die alten Griechen nannten übermütige Arroganz oder Selbstüberschätzung Hybris. Leider wurde Ikarus zum Vorbild für diese Charakterschwäche.

Vater und Sohn hoben vom Turm ab und flogen mit ihren künstlichen Flügeln über das Meer in Richtung Sizilien.

Trotz der Warnung von Dädalus flog Ikarus immer höher und höher. Offenbar glaubte er, dass seine Flügel ihm gottgleiche Kräfte verliehen. Das Wachs schmolz unweigerlich.

Der übermütige Ikarus stürzte ins Meer. Er ertrank und erreichte Sizilien nie.